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Bericht des Weltgipfels für soziale Entwicklung: Kopenhagener Erklärung



Anlage I

Kopenhagener Erklärung über soziale Entwicklung



1. Erstmals in der Geschichte sind wir auf Einladung der Vereinten Nationen als Staats- und Regierungschefs vereint, um durch unser Zusammentreffen der Bedeutung der sozialen Entwicklung und des Wohlergehens aller Menschen Rechnung zu tragen und diesen Zielen heute und bis in das einundzwanzigste Jahrhundert hinein höchsten Vorrang zuzuerkennen.

2. Wir erkennen an, daß sich den Völkern der Welt in unterschiedlicher Weise die dringende Notwendigkeit stellt, tiefgreifende soziale Probleme anzugehen, von denen jedes Land betroffen ist, namentlich Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung. Unsere Aufgabe ist es, uns sowohl mit den tiefer liegenden und strukturbedingten Ursachen dieser Probleme als auch mit ihren bedrückenden Folgen auseinanderzusetzen, um Ungewißheit und Unsicherheit im Leben der Menschen zu vermindern.

3. Wir erkennen an, daß die Gesellschaft in unseren verschiedenen Ländern und Regionen wirksamer auf die materiellen und geistigen Bedürfnisse des einzelnen, seiner Familie und des Gemeinwesens, in dem er lebt, eingehen muß. Dies muß nicht nur jetzt mit der gebotenen Dringlich keit, sondern auch mit nachhaltigem und unerschütterlichem Engagement während der kommenden Jahre geschehen.

4. Wir sind überzeugt, daß Demokratie und eine transparente, rechenschaftspflichtige Regierungs- und Verwaltungsführung in allen Teilbereichen der Gesellschaft unentbehrliche Grundlagen für die Verwirklichung einer bestandfähigen sozialen Entwicklung sind, in deren Mittelpunkt der Mensch steht.

5. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, daß soziale Entwicklung und soziale Gerechtigkeit unabdingbare Voraussetzungen für die Herbeiführung und Wahrung von Frieden und Sicherheit innerhalb unserer Nationen wie auch zwischen ihnen sind. Umgekehrt können soziale Entwicklung und soziale Gerechtigkeit ohne Frieden und Sicherheit und ohne die Achtung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht zustande kommen. Diese bereits vor 50 Jahren in der Charta der Vereinten Nationen anerkannte grundlegende Wechselbeziehung ist seither ständig enger geworden.

6. Wir sind fest davon überzeugt, daß wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umweltschutz voneinander abhängige und einander gegenseitig verstärkende Bestandteile einer bestandfähigen Entwicklung sind, die den Rahmen für unsere Bemühungen um die Herbeiführung einer höheren Lebensqualität für alle Menschen bildet. Eine ausgewogene soziale Entwicklung, die anerkennt, daß die Armen befähigt werden müssen, Umweltressourcen auf bestandfähige Weise zu nutzen, ist eine notwendige Grundlage einer bestandfähigen Entwicklung. Wir erkennen außerdem an, daß ein breites und nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Kontext einer bestandfähigen Entwicklung eine notwendige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung sozialer Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit ist.

7. Wir erkennen daher an, daß die soziale Entwicklung in den Bedürfnissen und Bestrebungen der Menschen in der ganzen Welt wie auch unter den Verantwortlichkeiten der Regierungen und aller Teile der bürgerlichen Gesellschaft eine zentrale Stellung einnimmt. Wir stellen fest, daß in wirtschaftlicher wie auch in sozialer Hinsicht die produktivsten Politiken und Investitionen diejenigen sind, die die Menschen befähigen, ihre Fähigkeiten, Mittel und Möglichkeiten voll zur Entfaltung zu bringen. Wir erkennen an, daß eine bestandfähige soziale und wirtschaftliche Entwicklung nicht ohne die volle Mitwirkung der Frau herbeigeführt werden kann und daß die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern ein vorrangiges Anliegen der internationalen Gemeinschaft ist und als solches im Mittelpunkt der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung stehen muß.

8. Wir erkennen an, daß der Mensch im Mittelpunkt unseres Strebens nach einer bestandfähigen Entwicklung steht und daß er Anspruch auf ein gesundes und produktives Leben in Harmonie mit der Umwelt hat.

9. Wir sind hier versammelt, um uns, unsere Regierungen und unsere Nationen zu verpflichten, die soziale Entwicklung in der ganzen Welt zu fördern, damit alle Männer und Frauen, insbesondere jene, die in Armut leben, Rechte wahrnehmen, Ressourcen nutzen und Verantwortung übernehmen können und so in die Lage versetzt werden, ein persönlich befriedigendes Leben zu führen und zum Wohl ihrer Familie, ihres Gemeinwesens und der gesamten Menschheit beizutragen. Diese Bemühungen zu unterstützen und zu fördern, insbesondere zugunsten aller armen, arbeitslosen und sozial ausgegrenzten Menschen, muß oberstes Ziel der internationalen Gemeinschaft sein.

10. Am Vorabend des fünfzigsten Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen gehen wir diesefeierliche Verpflichtung ein, entschlossen, die beispiellosen Möglichkeiten zu nutzen, die sich uns nach dem Ende des Kalten Krieges bieten, um die soziale Entwicklung und die soziale Gerechtigkeit zu fördern. Wir bekräftigen die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und die Übereinkünfte, die auf internationalen Konferenzen erzielt wurden, namentlich dem 1990 in New York abgehaltenen Weltkindergipfel 1 , der 1992 in Rio de Janeiro abgehaltenen Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung 2, der 1993 in Wien abgehaltenen Weltkonferenz über Menschenrechte 3, der 1994 in Bridgetown (Barbados) abgehaltenen Weltkonferenz über die bestandfähige Entwicklung der kleinen Inselstaaten unter den Entwicklungsländern 4 und der 1994 in Kairo abgehaltenen Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung 5, und lassen uns von diesen Grundsätzen und Übereinkünften leiten. Auf diesem Gipfeltreffen gehen wir eine neue Verpflichtung zur sozialen Entwicklung in unseren Ländern ein und beginnen eine neue Ära der internationalen Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Völkern auf der Grundlage eines Geistes der Partnerschaft, der die Bedürfnisse, Rechte und Bestrebungen der Menschen in den Mittelpunkt unserer Beschlüsse und gemeinsamen Maßnahmen rückt.

11. Wir sind hier in Kopenhagen zu einem Gipfel versammelt, der mit Hoffnungen, Verpflichtungen und konkretem Handeln verbunden ist. Wir treten zusammen im vollen Bewußtsein der Schwierigkeit der vor uns liegenden Aufgaben, jedoch voll der Überzeugung, daß maßgebliche Fortschritte erzielt werden können, erzielt werden müssen und auch erzielt werden.

12. Wir verpflichten uns auf diese Erklärung und dieses Aktionsprogramm zur Förderung der sozialen Entwicklung und zur Sicherung des Wohls aller Menschen in der ganzen Welt jetzt und bis in das einundzwanzigste Jahrhundert hinein. Wir fordern die Menschen in allen Ländern und jeden Standes und ebenso die internationale Gemeinschaft auf, sich unserer gemeinsamen Sache anzuschließen.


A. Die derzeitige soziale Situation und die Gründe für die Einberufung des Gipfeltreffens


13. In Ländern in der ganzen Welt beobachten wir, wie einige ihren Wohlstand mehren können, während gleichzeitig andere immer tiefer in unsagbarer Armut versinken. Dieser krasse Widerspruch kann nicht hingenommen werden. Es gilt daher, hier durch dringende Maßnahmen Abhilfe zu schaffen.

14. Die Globalisierung, eine Folge größerer Mobilität der Menschen, besserer Kommunikationsmittel, erheblich angewachsener Handels- und Kapitalströme sowie der technologischen Entwicklungen, eröffnet neue Möglichkeiten für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft, insbesondere in den Entwicklungsländern. Außerdem ermöglicht die Globalisierung es den Ländern, Erfahrungen zu vergleichen und aus den Erfolgen und Schwierigkeiten des anderen zu lernen, und trägt dazu bei, daß sie sich durch ihre Ideale, kulturellen Werte und Bestrebungen gegenseitig befruchten. Gleichzeitig sind die raschen Veränderungs- und Anpassungsprozesse verbunden gewesen mit einer Zunahme der Armut, der Arbeitslosigkeit und der sozialen Zerrüttung. Auch die Bedrohungen des menschlichen Wohlergehens, wie beispielsweise Umweltgefahren, haben eine globale Dimension angenommen. Darüber hinaus führen die in der Weltwirtschaft stattfindenden globalen Veränderungen zu einem tiefgreifenden Wandel der Rahmenbedingungen für die soziale Entwicklung in allen Ländern. Die Herausforderung besteht nun darin, diese Prozesse und Bedrohungen so zu steuern, daß ihre vorteilhaften Effekte erhöht und ihre nachteiligen Auswirkungen auf die Menschen verringert werden.

15. In einigen Bereichen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung hat es Fortschritte gegeben:

a) Insgesamt hat sich der Reichtum der Nationen in den letzten 50 Jahren versiebenfacht, und der internationale Handel hat sogar noch eindrucksvollere Zuwachsraten zu verzeichnen;

b) Die Lebenserwartung, die Alphabetisierung und die Grundschulerziehung sowie der Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten, einschließlich der Familienplanung, haben in den meisten Ländern zugenommen, und die durchschnittliche Säuglingssterblichkeit ist zurückgegangen, namentlich auch in den Entwicklungsländern;

c) Demokratischer Pluralismus, demokratische Institutionen und bürgerliche Grundfreiheiten haben sich ausgebreitet. Bei den Entkolonialisierungsbemühungen wurden große Fortschritte erzielt, und die Beseitigung der Apartheid ist eine historische Errungenschaft.

16. Gleichwohl stellen wir fest, daß allzuviele Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, Belastungen und Entbehrungen ausgesetzt sind. Nur allzuoft führen Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Zerrüttung zu Isolierung, Marginalisierung und Gewalt. Viele Menschen, insbesondere Angehörige schwächerer Gesellschaftsgruppen, sehen ihrer eigenen Zukunft und der ihrer Kinder mit wachsender Unsicherheit entgegen.

a) In zahlreichen Gesellschaften, in den entwickelten Ländern wie auch in den Entwicklungsländern, ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden. Ferner hat trotz des in einigen Entwicklungsländern zu verzeichnenden raschen Wachstums das Gefälle zwischen den entwickelten Ländern und zahlreichen Entwicklungsländern, insbesondere den am wenigsten entwickelten Ländern, weiter zugenommen;

b) Über eine Milliarde Menschen in der Welt leben in größter Armut, viele von ihnen leiden täglich Hunger. Insbesondere in Afrika und in den am wenigsten entwickelten Ländern hat ein großer Prozentsatz der Menschen, die Mehrheit von ihnen Frauen, äußerst begrenzten Zugang zu Einkommen, Ressourcen, Bildung, Gesundheitsfürsorge und Ernährung;

c) Gravierende soziale Probleme anderer Art und anderer Ausmaße bestehen auch in den im Umbruch befindlichen Volkswirtschaften und in Ländern, in denen ein grundlegender politischer, wirtschaftlicher und sozialer Wandel stattfindet;

d) Die Hauptursache für die anhaltende Verschlechterung des globalen Umfelds sind nicht aufrechterhaltbare Konsum- und Produktionsweisen, insbesondere in den Industrieländern, was zu großer Sorge Anlaß gibt, da Armut und Ungleichgewichte dadurch noch verschärft werden;

e) Das auch weiterhin anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung, ihre Struktur und Verteilung und die Beziehung, in der sie zu Armut und sozialer und geschlechtsbedingter Ungleichheit steht, stellen eine Herausforderung für die Anpassungsfähigkeit der Regierungen, des einzelnen, der sozialen Institutionen und der natürlichen Umwelt dar;

f) Weltweit sind über 120 Millionen Menschen offiziell arbeitslos, noch viel mehr sind unterbeschäftigt. Für zu viele junge Menschen, auch solche mit Schulbildung, besteht kaum Hoffnung, eine produktive Beschäftigung zu finden;

g) Mehr Frauen als Männer leben in absoluter Armut, und dieses Ungleichgewicht nimmt weiter zu, mit ernsten Folgen für die Frauen und ihre Kinder. Auf die Frauen entfällt ein unverhältnismäßig großer Anteil der Last der Probleme im Zusammenhang mit der Armut, der sozialen Zerrüttung, der Arbeitslosigkeit, der Umweltzerstörung und den Kriegsfolgen;

h) Eine der größten Minderheiten der Welt - mehr als 10 Prozent aller Menschen - sind die Behinderten, die allzuoft zu Armut, Arbeitslosigkeit und sozialer Isolation verurteilt sind. Daneben sind in allen Ländern vor allem ältere Menschen häufig sozialer Ausgrenzung, Armut und Marginalisierung ausgeliefert;

i) Millionen Menschen in der ganzen Welt sind Flüchtlinge oder Binnenvertriebene. Die sich daraus ergebenden tragischen sozialen Folgen haben beträchtliche Auswirkungen auf die soziale Stabilität und die Entwicklung ihres Heimatlandes, ihres Gastlandes und ihrer jeweiligen Region.

17. Obgleich es sich bei diesen Problemen um weltweite Probleme handelt, von denen alle Länder betroffen sind, erkennen wir an, daß die Situation der meisten Entwicklungsländer, insbesondere der afrikanischen Entwicklungsländer und der am wenigsten entwickelten Länder, kritisch ist und besondere Aufmerksamkeit und besondere Maßnahmen erfordert. Wir erkennen außerdem an, daß diese Länder, in denen sich ein grundlegender politischer, wirtschaftlicher und sozialer Wandel vollzieht, namentlich auch diejenigen Länder, die sich in einem Prozeß der Konsolidierung des Friedens und der Demokratie befinden, die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft benötigen.

18. Auch die Umbruchländer, die ebenfalls einen grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel durchlaufen, benötigen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

19. Andere Länder, die einen grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel durchlaufen, benötigen ebenfalls die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

20. Wenn die Ziele der sozialen Entwicklung erreicht werden sollen, bedarf es unablässiger Anstrengungen zum Abbau und zur Beseitigung der Hauptursachen von sozialem Elend und Instabilität in Familie und Gesellschaft. Wir verpflichten uns, unsere Anstrengungen gezielt und mit Vorrang auf die Bekämpfung der Bedingungen zu richten, die die Gesundheit, die Sicherheit, den Frieden und das Wohl unserer Völker weltweit schwer bedrohen. Dazu gehören: chronischer Hunger, Mangelernährung, Probleme im Zusammenhang mit unerlaubten Drogen, die organisierte Kriminalität, Korruption, ausländische Besetzung, bewaffnete Konflikte, unerlaubter Waffenhandel, Terrorismus, Intoleranz und Aufstachelung zu rassisch, ethnisch, religiös oder anderweitig motiviertem Haß, Fremdenfeindlichkeit sowie endemische, übertragbare und chronische Krankheiten. Zu diesem Zweck sollen die Koordination und Zusammenarbeit auf nationaler und besonders auf regionaler und internationaler Ebene weiter verstärkt werden.

21. In diesem Zusammenhang gilt es auch, sich mit den nachteiligen Auswirkungen auf die Entwicklung auseinanderzusetzen, die überhöhte Militärausgaben, der Waffenhandel sowie Investitionen in die Rüstungsproduktion und zum Waffenankauf haben.

22. Übertragbare Krankheiten stellen in allen Ländern ein ernstes Gesundheitsproblem dar und sind weltweit eine der führenden Todesursachen, wobei ihre Häufigkeit in vielen Fällen zunimmt. Diese Krankheiten sind ein Hindernis für die soziale Entwicklung und eine häufige Ursache für Armut und soziale Ausgrenzung. Der Verhütung, Behandlung und Eindämmung dieser Krankheiten, die von der Tuberkulose und der Malaria bis hin zu HIV/Aids reichen, ist höchste Priorität einzuräumen.

23. Wir werden nur dann auch in Zukunft das Vertrauen der Menschen der Welt genießen, wenn wir ihre Bedürfnisse zu unserem vorrangigen Anliegen machen. Wir wissen, daß Armut, das Fehlen einer produktiven Beschäftigung und soziale Zerrüttung ein Verstoß gegen die Menschenwürde sind. Wir wissen auch, daß sie einander negativ verstärken, eine Vergeudung von Humankapital darstellen und ein Zeichen mangelnder Effizienz im Funktionieren der Märkte und der wirtschaftlichen und sozialen Institutionen und Abläufe sind.

24. Wir stehen vor der Herausforderung, einen Rahmen für die soziale Entwicklung zu schaffen, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht und von dem wir uns jetzt und in der Zukunft leiten lassen können, eine Kultur der Kooperation und der Partnerschaft aufzubauen und die unmittelbaren Bedürfnisse der am tiefsten ins Elend verstrickten Menschen zu befriedigen. Wir sind entschlossen, uns dieser Herausforderung zu stellen und die soziale Entwicklung in der ganzen Welt zu fördern.


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